Dr. Patricie Merkert und Prof. Dr. Rüdiger Quay sprechen im Interview über die gemeinsame Institutsleitung und die Zukunft des Fraunhofer IAF.
Dr. Patricie Merkert und Prof. Dr. Rüdiger Quay im Interview
Dr. Patricie Merkert und Prof. Dr. Rüdiger Quay sprechen im Interview über die gemeinsame Institutsleitung und die Zukunft des Fraunhofer IAF.
Merkert — Als die Fraunhofer-Gesellschaft mit der Idee einer Doppelspitze an mich herangetreten ist, ging es nicht nur darum Aufgaben aufzuteilen, sondern auch unterschiedliche Schwerpunkte zusammenzubringen. Rüdiger kommt aus der Fraunhofer-Welt und der Forschung. Ich komme aus der Industrie. Ziel unserer Doppelspitze ist es, diese Kompetenzen zusammenzubringen, um das bestmögliche für das Institut zu generieren. Unsere verschiedenen Sichtweisen, Erfahrungen, Kompetenzen, Präferenzen und auch Denkweisen ergänzen sich sehr gut.
Quay — Die Idee einer Doppelspitze wird in der Fraunhofer-Gesellschaft vermehrt wahrgenommen. Einer der Hauptgründe ist die zunehmende Komplexität, die wir im Wissenschaftssystem erfahren. Gleichzeitig hängt es mit der Vielzahl an Aufgaben zusammen, die in der Fraunhofer-Gesellschaft einer Institutsleitung zugeschrieben werden. Dazu gehört die Wahrnehmung der universitären Pflichten und gleichzeitig die Leitungsaufgaben an einem wirtschaftlichen und industrienahen Forschungsinstitut. Da ist eine Arbeitsteilung, wie Patricie gesagt hat, naheliegend.
Merkert — Worauf ich mich am meisten freue, ist den Bogen zu schließen. Ich habe ursprünglich meine Doktorarbeit geschrieben, um meine Erfahrung aus der Industrie in die Lehre und Forschung zurückzubringen. Am Fraunhofer IAF kann ich jetzt diesen ganz persönlichen »Loop« von der Forschung zur Industrie und zurück endlich schließen. Dabei bringe ich aus über 20 Jahren in der Industrie vieles mit: Ich habe gelernt, wie man Organisationen baut, wie man Veränderungen vorantreibt, wie man neue Prozesse schafft oder verbessert, aber auch wie man Struktur und Transparenz herbeiführt, die dabei hilft, Entscheidungen in einer sich schnell wandelnden Welt sicher zu treffen. Und vor allen Dingen freue ich mich, mit den Leuten zusammenzuarbeiten. Das ist es, was mich motiviert: mit Leuten zu arbeiten, sie zu verstehen und gemeinsam Dinge möglich zu machen – getreu dem Motto: »Stärken stärken heißt Schwächen schwächen«.
Quay — Es gab einen Generationenwechsel in vielen Bereichen der Belegschaft und wir haben so eine völlig neue Generation von Mitarbeitenden, die auch andere Wünsche und Lebensauffassungen hat. Gleichzeitig haben wir auch einen thematischen Aufgabenwechsel in Bereichen, die etwas älter waren, vollzogen und diese durch neue Themen ersetzt. Zum Beispiel haben wir uns von der LED-Forschung getrennt, einem Thema, in dem wir bahnbrechende Ergebnisse erzielt haben, das aber so ausgereift ist, dass es nicht mehr zu einem Forschungsinstitut wie uns passt. Dafür haben wir neue Themen beispielsweise im Bereich der Quantentechnologien bei uns etabliert. Manche Themen werden auch noch weiter gestärkt werden, wie die Verteidigungsforschung am Fraunhofer IAF. Mit Blick auf die Ukrainekrise wird die Relevanz der Fähigkeit, unabhängig Komponenten und Subsysteme zu bauen, für Europa präsent. Und das gilt auch für die Luft- und Raumfahrt sowie für verschiedene neue Themen.
Quay — Eine ganz wesentliche Komponente ist die Beteiligung der Mitarbeitenden sowohl inhaltlich als auch strukturell. Dabei wird es immer wichtiger, den Sinn der Arbeit herauszustellen, den wir durch die Anwendungen unserer Forschung stiften: Gesundheit, Energie, CO2-Reduktion – das sind alles Themen, die Leute begeistern können. Durch unsere breite Aufstellung in der Halbleiter- und Festkörperforschung arbeiten wir an einer Vielzahl von sinnhaften Anwendungsfeldern. Unsere Forschung so zu organisieren, dass unsere Mitarbeitenden einbezogen werden, ist ebenso wesentlich. Dazu haben wir zum Beispiel einen Strategieprozess eingeführt, der bottom-up organisiert ist. Hier können sich Kolleg:innen beteiligen, Ideen einbringen und stärker Verantwortung übernehmen, sodass auch schon junge Forschende Themen voranbringen können.
Merkert — Veränderung ist das, was permanent um uns herum passiert und wir müssen darauf reagieren. Dabei ist vor allem Kommunikation ein großes Thema. Das unterstreicht das, was Rüdiger zur Beteiligung gesagt hat. Es ist wichtig diejenigen, die etwas bewegen wollen, zu unterstützen. Dabei ist auch eine gute Fehlerkultur sehr wichtig. Nur wer Fehler auch zulässt, kann aus ihnen lernen und es in Zukunft besser machen. Durch Beteiligung, Kommunikation und eine gesunde Fehlerkultur können wir die Kolleg:innen befähigen und ihnen Mut machen, auch mal ein Risiko einzugehen und Dinge auszuprobieren. Nur so können wir gemeinsam Innovationen schaffen und Veränderungen angehen.
Merkert — Wir haben im Vorfeld viel über Kommunikation, Vertrauen und Fehlermachen geredet. Das sind Themen, die uns in der Zusammenarbeit auch untereinander extrem wichtig sind. Aber für mich war die dringendste Frage: Kann ich mir vorstellen, mit Rüdiger zusammen die Doppelspitze zu führen? Ist das jemand, dem ich vertrauen kann? Ist es jemand, den ich verstehe?
Quay —Das war auch für mich der wichtigste Punkt: Können wir uns beide das zusammen als Team vorstellen? Das haben wir positiv beantwortet! Hinzu kommt auch, dass wir beide eine grundlegend positive Sichtweise auf die Zukunft und eine gewisse Risikobereitschaft teilen. Die Halbleiterindustrie ist zwar einerseits sehr konservativ, aber sie ist auch stark auf Fortschritt gepolt. Das heißt es müssen auch Risiken in Technologien, in Ansätzen und in Verfahren eingegangen werden. Es ist ein ganz wesentlicher Punkt, Dinge neu auszuprobieren und vermeintlich altbekannte Themen, neu zu adressieren.
Merkert — Weißt du noch, welche Frage du mir zu Beginn ungefähr dreimal gestellt hast: »Wie können wir dich bei Laune halten, damit dir nicht langweilig wird?« [lachen]
Quay —Das ist auch grundlegend eine sehr wichtige Frage in der Arbeitswelt und ich glaube, da beneiden uns viele Menschen: Mir ist noch nicht an einem einzigen Tag in meiner Karriere bei Fraunhofer langweilig gewesen.
Quay — 2024 und 2025 werden thematisch extrem spannende Jahre. Wir werden zum einen unsere Forschung in den Quantentechnologien fortsetzen wie zum Beispiel in der Landesinitiative QuantumBW. Zudem arbeiten wir aktuell schon an Pilotlinien für die Halbleiter-Chipfertigung, hier verlassen sich Industriepartner wesentlich auf uns. Die Errichtung von paneuropäischen Pilotlinien ist auch eine wichtige Forderung (und Förderinitiative) des EU Chips Act. Als Beitrag dazu plant ein europäisches Konsortium unter der Leitung der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (FMD) in den kommenden Jahren die umfassendste und fortschrittlichste Pilotlinie für »Advanced Heterogeneous System Integration and Advanced Packaging« aufzubauen. Wir freuen uns, Teil dieses gemeinsamen Projekts zu sein.
Das wichtigste Ziel bei allem bleibt, unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und weiterhin Spitzenforschung zu betreiben. Das hat eine ganze Reihe von Ableitungen, wir werden zum Beispiel in neue Infrastrukturen investieren, um auch in Zukunft neue Technologie zu entwickeln. Außerdem müssen wir die Anschlussfähigkeit an die deutsche Wirtschaft halten und dabei gleichzeitig offenbleiben für länger laufende Themen, die sich noch nicht industrialisieren lassen. Das ist der Spagat, der vor uns liegt.
Merkert — Die Themenvielfalt, die Rüdiger anspricht, bietet natürlich super viele Chancen, aber auch viele Möglichkeiten sich zu verrennen. Dieser Balanceakt, wie wir das Institut aufstellen, dass es weiterhin auf vielen unterschiedlichen Beinen stehen kann, ist eine zentrale Zielsetzung.
Aber ich würde sogar einen Schritt zurückgehen und betonen, dass es nicht darum geht, Veränderung der Veränderung willen zu betreiben, sondern damit das Institut zukunftssicher dasteht. Das beinhaltet auch gesicherte Arbeitsplätze für die Angestellten und dass es Arbeitsplätze sind, die Spaß machen. Dazu müssen natürlich auch die Finanzierungsmittel stimmen, damit wir auch in Zukunft in der Lage sind, strategische Investitionen zu tätigen. Dafür brauchen wir die richtigen Projekte und die richtigen Leute an den richtigen Stellen sowie ein Umfeld, in dem sich die Mitarbeitenden einbringen und mit Elan an den Themen arbeiten können.